Geschichtswerkstatt Marburg e. V.

Marburgs ehemaliges Nadelöhr am Rudolphsplatz

Marburgs ehemaliges Nadelöhr am Rudolphsplatz

Kurzbeschreibung Forschung für Regional- und Alltagsgeschichte / Lokale Geschichte in Marburg
Träger /
Initiative
Geschichtswerkstatt Marburg e.V.
InformationDie Geschichtswerkstatt Marburg ist ein Zusammenschluss von Menschen, die sich für die Alltagsgeschichte ihres Lebens- und / oder Arbeitsortes interessieren.

Scheinbar Banales und Alltägliches ist bedeutsamer und interessanter, als es der erste Blick vermuten lässt. Denn auch "die da unten" machen, erfahren und erinnern Geschichte. Sich um diese Geschichte zu kümmern hat sich die Geschichtswerkstatt zum Ziel gesetzt.

Deshalb "graben" wir nicht nur in Archiven und Bibliotheken. Vielmehr stellen wir die Erfahrungen "gewöhnlicher" Menschen in und mit Marburg, ihre Sicht auf das Geschehene, ihre Erinnerungen, ihr Leben, ihr Umfeld ins Zentrum unserer Arbeit, ohne dabei die lokale und "große" Politik zu übersehen.

1984 gegründet sind wir zurzeit etwa 35 Mitglieder. Viele haben ihren jeweils eigenen Arbeitsschwerpunkt. Nicht selten aber ziehen wir dann an einem Strang, wenn unserer Ansicht nach ein wichtiges Thema auf lokaler Ebene Beachtung finden sollte.

Arbeitsschwerpunkte

Unsere Arbeitsschwerpunkte liegen in der Geschichte der Region Marburg im 20. Jahrhundert, insbesondere im Nationalsozialismus und seiner Vor- und Nachgeschichte. Im Folgenden eine Auswahl:

Die Geschichte jüdischen Lebens in Marburg und Umgebung vor 1933 sowie die Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung zwischen 1933 und 1945 begleitet die Aktivitäten der Geschichtswerkstatt seit ihrer Gründung. Seit 2002 erinnern wir jedes Jahr am 6. September, dem Jahrestag der dritten Deportation von Jüdinnen und Juden im Jahr 1942, auf dem Hauptbahnhof gemeinsam mit der Stadt Marburg, der Jüdischen Gemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit an das Schicksal der Betroffenen. An der Gedenkstunde nehmen regelmäßig Nachkommen der Deportierten teil. Da es aus sicherheitstechnischen Gründen nicht mehr möglich ist, die Gedenkstunde direkt am Gleis des Hauptbahnhofes stattfinden zu lassen, haben wir den Ort des Gedenkens auf das Gelände der Waggonhalle verlegt.

Im Zuge der Umbauarbeiten am Marburger Hauptbahnhof war im Jahr 2015 von den Marburger Stadtverordneten ein Beschluss gefasst worden, im Bahnhof mit einer Gedenktafel an die Deportationen der Juden und Sinti zu erinnern. Ein Arbeitskreis, an dem die Geschichtswerkstatt Marburg, die Jüdische Gemeinde Marburg, der Landesverband Hessen des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, der Fachdienst Kultur der Stadt Marburg und Vertreter der Bahn AG beteiligt waren, entwickelten das Konzept von Gedenk-Metallbändern. An den zwei Aufgängen zu Gleis 5 und 8 des Marburger Hauptbahnhofes wurden am Holocaust-gedenktag im Rahmen einer Gedenkveranstaltung im Jahr 2015 vier Gedenkbänder angebracht. Die Gedenkbänder sind mit den Namen der Menschen versehen, die in den vier Deportationen zwischen 1941 und 1943 vom Marburger Bahnhof aus in die Vernichtungslager oder Ghettos verschleppt wurden. Erinnert wird auch an ihr Alter zur Zeit der Deportation.

Seit 2006 ist Marburg unter Regie der Geschichtswerkstatt in das europaweite Erinnerungsprojekt "Stolpersteine" des Künstlers Gunter Demnig eingebunden. 95 Stolpersteine (Stand 2022), Messingplatten auf dem Gehweg, erinnern in Marburg an Opfer des Nationalsozialismus.

Kontinuierlich beschäftigt sich die Geschichtswerkstatt mit der Geschichte des Militärs und des Militarismus in Marburg. Die 1919 aufgelösten Einheiten der "Marburger Jäger" und die sich an diese Truppen anschließende Traditionsbildung sind und waren ein Forschungsschwerpunkt. Der öffentliche Protest gegen die Aufstellung eines Kriegerdenkmals auf Privatgrund in Bortshausen veranlasste die Stadt Marburg, eine Aufarbeitung der Geschichte der Marburger Jäger bei der Geschichtswerkstatt in Auftrag zu geben. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Erforschung der Arbeit des Marburger Kriegsgerichts des Zweiten Weltkriegs, das circa 100 Todesurteile aussprach.

Eine Arbeitsgruppe beschäftigte sich seit 1999 mit der Zwangsarbeit in Marburg während des Zweiten Weltkriegs. Vor dem Hintergrund der Fülle von ausgewerteten Unterlagen konnten zwischen 2000 und 2005 annähernd 200 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter symbolische Entschädigungen erhalten. Zwischen 2003 und 2006 organisierte die Geschichtswerkstatt mit vielfältiger Unterstützung drei Begegnungswochen in Marburg. Eindrückliche zwischenmenschliche Begegnungen charakterisierten diese Besuche.

Kooperationen

Wir denken, dass historische Ereignisse und Zustände möglichst klar benannt und bewertet werden müssen. Das heißt aber nicht, dass unsere Sicht auf die lokale Geschichte der Wahrheit letzter Schluss ist. Um in Marburg etwas zu bewegen, arbeiten wir immer wieder mit vielen Einzelpersonen, Initiativen, Vereinen und Institutionen zusammen. Nach Möglichkeit begleiten wir Marburger Schulgruppen bei der Erarbeitung (lokal-) historischer Projekte.
StandortGeschichtswerkstatt Marburg e.V., Schwanallee 27–31, 35037 Marburg
Interneteigene Website: www.geschichtswerkstatt-marburg.de
Publikationen
(Auswahl)
• Berg, Ralf / Händler-Lachmann, Barbara / Roth, Jürgen / Schütt, Ulrich (Hrsg.): Cappeler Straße 8. Braukessel und Presslufthammer. Abriß einer Industriegeschichte. Marburg 1985 (Schriften der Geschichtswerkstatt Marburg, Nr. 1).
• Eberlein, Michael / Müller, Roland (Bearb.): „Ich habe die Metzelei satt ...“. Deserteure – Verfolgte der Militärstrafjustiz und der Militärpsychiatrie im Zweiten Weltkrieg. Dokumentation der Beiträge zum Symposium in Marburg, 25. – 26.10.1991. Hrsg.: Geschichtswerkstatt Marburg. Marburg 1992.
• Eberlein, Michael / Müller, Roland / Schöngarth, Michael / Werther, Thomas: Militärjustiz im Nationalsozialismus. Das Marburger Militärgericht. Hrsg.: Geschichtswerkstatt Marburg. Marburg 1994.
• Fülberth, Susanne / Händler-Lachmann, Barbara / Hommel, Regine / Roth, Jürgen / Werther, Thomas (Hrsg.): Strafsache 2 KLs 42/47 gegen St., G, P, V, Sp. wg. vorsätzlicher Inbrandsetzung eines zum Gottesdienst bestimmten Gebäudes. Protokoll der Hauptverhandlung gegen die Synagogenbrandstifter, November 1947 in Marburg. Marburg 1988 (Schriften der Geschichtswerkstatt Marburg, Nr. 3).
• Händler-Lachmann, Barbara / Werther, Thomas: Vergessene Geschäfte – verlorene Geschichte. Jüdisches Wirtschaftleben in Marburg und seine Vernichtung im Nationalsozialismus. Marburg 1992.
• Kolling, Hubert / Stamm, Irmgard: Vom Knast zum Knast-Palast. Das ehemalige Gerichtsgefängnis in Marburg. Marburg 1986 (Schriften der Geschichtswerkstatt Marburg, Nr. 2).
• Brandes, Karin (Red.): Zwangsarbeit in Marburg 1939 – 1945. Geschichte, Entschädigung, Begegnung. Hrsg.: Magistrat der Universitätsstadt Marburg (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur, Bd. 80). Marburg 2005.
• Wagner, Barbara / Bertram, Dieter, / Damrath, Friedrich / Wagner, Friedemann: Die jüdischen Friedhöfe und Familien in Fronhausen, Lohra, Roth, Marburg 2009.
• Friedrich, Klaus-Peter / Kirschner, Albrecht / Lützoff, Corinna / Nickel, Katharina (Hrsg.): Zur Geschichte der Marburger Jäger, (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur, Bd. 101). Marburg 2014.
• Friedrich, Klaus-Peter (Hrsg.): Von der Ausgrenzung zur Deportation in Marburg und im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Neue Beiträge zur Verfolgung und der Ermordung von Juden und Sinti im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Marburg 2017.
• Wagner, Barbara: Das Hochzeitsfoto. Eine hessische Familiengeschichte. 2022.
• Braunes Marburg. Ein Stadtspaziergang mit Plan. Magistrat der Universitätsstadt Marburg. FD Jubiläumsbüro Marburg800 (Hrsg.), Text und Redaktion: Gesa Coordes. Projektmitarbeit: Geschichtswerkstatt Marburg e.V.
Das Digitale Gedenkbuch - Erinnerung an die von Marburg aus deportierten Jüdinnen und Juden: .